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Voyager Labs: die stumpfe Waffe der künstlichen Intelligenz

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Ende der 1960er Jahre war die Advanced Research Projects Agency (ARPA) des US-Verteidigungsministeriums die erste Behörde, die ein Projekt für vernetzte Kommunikation namens ARPANET, den Vorläufer des Internets, initiierte. Seitdem hat sich viel verändert, denn das Internet hat mit seiner explosionsartigen Verbreitung die Welt und unsere Wahrnehmung der Welt verändert. Das Netz wird inzwischen täglich von mindestens 5 Milliarden Menschen genutzt[1], hat fast 2 Milliarden Websites[2], erreicht jeden Winkel der Erde, bietet eine unüberschaubare Anzahl von Diensten und ist der Speicher für eine beeindruckende Menge an Daten.

In den letzten Jahren sammelt es mit exponentiellem Wachstum Informationen über jeden Aspekt unseres täglichen Lebens, angefangen bei den Spuren unserer Nutzung (persönliche Daten, Fotos, Gedanken, Einkäufe, Bewegungen, Gespräche und vieles mehr). Diese Informationen befinden sich auf verschiedenen Ebenen des Netzes: von der öffentlichen, die für jeden, der eine Verbindung herstellt, zugänglich ist, bis hin zur verborgensten und geheimsten, die durch mehr oder weniger komplexe Barrieren geschützt ist.

Es gibt zwar Organisationen, die Suchmaschinen analysieren, die sich um ein Mindestmaß an Transparenz bemühen, aber die Fülle der Inhalte wirft immer noch enorme Probleme auf, und die Wahrheit ist inzwischen so komplex, dass sie nicht mehr zu erkennen ist. Diese riesige Menge an Informationen wird als „unstrukturiert“ bezeichnet. Was wäre das Ergebnis, wenn es gelänge, Methoden zu entwickeln, um die Informationen miteinander zu verknüpfen und sie in einer Art intelligenter Struktur zum Sprechen zu bringen? Macht über Information und globale Kommunikation. Eine beängstigende Aussicht, von der Elon Musk, der südafrikanische Multimilliardär, der zu diesem Zweck Twitter gekauft hat, bisher nur geträumt hat. Doch das allein wird ihm nicht genügen.

In den letzten Jahren wurden Studien veröffentlicht, die darauf abzielen, durch die Entwicklung immer ausgeklügelterer Algorithmen auf intelligente Weise Informationen aus dem Netz zu sammeln. Die Auswertung dieser Informationen würde zu Echtzeitszenarien mit Vorhersagecharakter führen, die sich auf die spezifische Dynamik der Märkte, des Finanzwesens, des Gesundheitswesens, der Sicherheit und, was am interessantesten ist, der Untersuchung des menschlichen Verhaltens beziehen. Es gibt natürlich zahlreiche Anwendungshypothesen: die Erstellung von Nutzerprofilen in der Geschäftswelt eines bestimmten geografischen Gebiets oder einer bestimmten sozialen Schicht; oder in der Medizin oder im Sicherheitsbereich die Verbesserung der Vorbeugung im Falle von Angriffen. Es ist nicht schwer, sich die Zweifel dieses Wissenschaftszweigs vorzustellen: Die Grenze der Rechtmäßigkeit bei der Erfassung und Verwendung personenbezogener Daten ist sehr schmal. Vor allem, wenn man ein Profil von Milliarden von Menschen erstellen will.

Der Aufstieg in der Welt der künstlichen Intelligenz

_{Netzwerk von Voyager Labs Ltd[3]}

Avi Kornblum, geboren im Juni 1966 in Israel, gründete nach 20 Jahren Dienst im israelischen Geheimdienst und Erfahrungen als Vertreter des Mossad bei IDT Corporation, Verbx Communications und Fusion Telecommunications International[4] 2010 ein kleines Softwareunternehmen. Seine besondere Aufgabe ist jedoch das, was zu seinem Glück werden wird: im großen Meer des Internets nach unstrukturierten Informationen zu fischen und diese auf der Grundlage spezifischer Anfragen in geordnete und verständliche Antworten umzuwandeln. Einer seiner Reisebegleiter ist der Brite Jonathan Leon Joffe[5], ehemaliger Direktor von QTEC Systems Limited[6], der das Start-up-Unternehmen[7], das den Namen Voyager Labs Ltd. tragen wird, leiten wird[8].

Über die ersten Jahre der Tätigkeit ist nicht viel bekannt, da das Startup im Stealth-Modus gestartet wurde, einer besonderen Form der Gründung, die maximale Vertraulichkeit sowohl für die Tätigkeit als auch für die Konten ermöglicht. Voyager Labs wurde erstmals im November 2016 bekannt, als das Unternehmen aus dem Stealth-Modus herauskam[9]. Während seiner Inkubationszeit sammelte das kleine Startup mehr als 100 Millionen Dollar[10] an Finanzmitteln von Geldgebern wie dem britischen Geschäftsmann Ronald Cohen[11], dem britischen Unternehmer Lloyd Marshall Dorfman[12], dem irischen Finanzier OCAPAC Holding[13], seinem Eigentümer Oracle und Horizons Ventures des chinesischen Tycoons Li Ka-Shing[14]. Das Unternehmen verfügt über ein Forschungs- und Entwicklungszentrum in Tel Aviv und Büros in New York, Washington und London, beschäftigt rund 130 Mitarbeiter, von denen die meisten Wissenschaftler, Datenanalysten und Experten für künstliche Intelligenz sind[15], und hat ein Portfolio von (geheimen) Kunden in allen Bereichen des globalen Wirtschaftslebens[16].

Das Unternehmen hat drei Abteilungen: Voyager Analytics, Voyager Finance und Voyager eCommerce[17]. Allen Produkten gemeinsam ist die Philosophie, so viele unstrukturierte Informationen wie möglich zu sammeln, einschließlich sozialer Medien, und diese durch eine von komplexen Algorithmen gesteuerte Verarbeitung in strukturierte Bilder umzuwandeln. Nach Angaben von DoiT International[18], das Voyager Labs IT-Support bietet (große Cloud-Räume zur sicheren Speicherung ihrer Daten), sammelt das Unternehmen durchschnittlich 10 Milliarden Daten pro Tag, was einer Menge von 10 TB entspricht – eine beeindruckende Zahl[19].

In jeder seiner öffentlichen Präsentationen gibt sich Voyager Labs Mühe mitzuteilen, dass seine Software nur öffentliche Informationen sammelt und daher völlig transparent ist. Kritiker behaupten jedoch etwas anderes, wie in den Foren[20] der NDIA National Security (einer CIA-Agentur[21]) oder in den von der ISS World Middle East (einer Vereinigung von Cyberspionage-Unternehmen[22]) organisierten Seminaren zu sehen ist, die von „verwertbaren und zuvor unerreichbaren Informationen durch die Analyse und das Verständnis riesiger Mengen offener, tiefer und undurchsichtiger Webdaten“ sprechen[23]. Eine wirklich beunruhigende Präsentation.

Ein umstrittener ehemaliger CIA-Agent

_{Die Vereidigung von Leon Panetta als CIA-Direktor, mit Stephan Kappes (Voyager Libs), Dannis Blair, Sylvia Panetta und Joe Biden[24]}

Der Erfolg ist unmittelbar, und er muss politisch abgesichert werden. Im Dezember 2015, wenige Wochen vor der öffentlichen Vorstellung des Unternehmens, übernahm Stephan Robert Kappes die Leitung[25]: Der am 22. August 1951 in Cincinnati geborene Kappes ist verheiratet, hat zwei Kinder[26], spricht Farsi und Russisch[27] und hat einen Bachelor und Master of Science in Pathologie von der Ohio State University[28]. Nach seinem Abschluss trat er 1976 in das Marine Corps ein und stieg rasch auf, bis er 1981 zur CIA wechselte, wo er zahlreiche verantwortungsvolle Positionen bekleidete: Abteilungsleiter in Neu-Delhi, Frankfurt, Kuwait City, Moskau und Pakistan, dann bis 2000 im Nahen Osten und in Südasien; er kehrte als stellvertretender stellvertretender Direktor für Spionageabwehr nach Amerika zurück und übernahm 2004 die Nachfolge des stellvertretenden Direktors für Operationen James Pavitt[29].

In dieser Funktion ist er zusammen mit Pavitt einer der Verantwortlichen für die Leitung der CIA-Operationen bei der Erstellung des umstrittenen Berichts über die Massenvernichtungswaffen im Irak[30]. Er tritt nach Bekanntwerden des Schlamassels zurück, und einige Tage später tritt auch der stellvertretende Direktor, John E. McLaughlin, zurück[31]. Im Mai 2006 wird Kappes abberufen und von John Negroponte[32] zum stellvertretenden Direktor der CIA ernannt – eine Position, die er bis 2009 innehat: Sein Ziel ist es, das Image der CIA nach Jahren der Skandale wieder aufzupolieren[33]. Kappes konnte sich nicht durchsetzen, weil er mehrere hohe Tiere in den Geheimdiensten gegen sich hatte, die ihn der „groben Insubordination“ für schuldig hielten und ihn absetzen ließen[34].

Im Jahr 2009 wurde Kappes von einem italienischen Gericht in Abwesenheit verurteilt, weil er 2003 die Entführung, Auslieferung und Folterung des ägyptischen Staatsbürgers Abu Omar veranlasst hatte, der in Mailand von CIA-Agenten entführt und nach Ägypten gebracht wurde, wo er gefoltert wurde[35]. Sein Stil ist bereits gut bekannt: Er forderte Obama auf, „geheime Gefängnisse wieder einzurichten und aggressive Verhörmethoden anzuwenden“[36]. Am 14. April 2010 trat Kappes in einer aufgeheizten Atmosphäre zurück, da eine von ihm geleitete Operation aufgrund von „Unachtsamkeit“, d.h. unterlassener Suche, zu einem Massaker wurde: Am 30. Dezember 2009 wurde ein Jordanier mit einer Sprengstoffweste in die afghanische CIA-Basis eingelassen. Sieben CIA-Offiziere starben, darunter der Leiter der Basis[37], und gegen Kappes wurde ermittelt[38].

Es ist kein ehrenvoller Abgang: Für viele Beobachter ist er einer der Hauptverantwortlichen für die zahlreichen Misserfolge des amerikanischen Geheimdienstes[39]. Im April 2005 trat er der ArmorGroup International als Direktor und Mitglied des Verwaltungsrats bei[40]. Anschließend wurde er zum Direktor von Qtec Analytics Ltd (Januar 2013) und zum Direktor von Quest Global Holdings Ltd[41], zwei Cybersicherheitsunternehmen, ernannt. Im Dezember 2015 begann er sein Projekt mit Voyager Labs.

Voyager Analytics wird angeklagt

Im April 2020 wurden die kolumbianischen Sicherheitskräfte von einem Skandal erschüttert: Beamte spionierten die 2016 geführten Gespräche mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) aus, die mit einem Friedensabkommen endeten. Das Militär sammelte in unzulässiger Weise Informationen über mehr als 130 Personen, darunter Journalisten ausländischer und inländischer Medien, Politiker und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen[42], um ein Profil ihres Verhaltens zu erstellen[43]. Für die Spionageaktion wurde Software von Voyager Labs verwendet, die einige Jahre zuvor erworben wurde[44]. Am 1. Mai 2020 kündigte der kolumbianische Verteidigungsminister Carlos Holmes Trujillo die Ausweisung von 11 Offizieren an, während ein General freiwillig zurücktrat[45].

Im August 2020 wird Voyager Labs in den historischen Konflikt zwischen der chilenischen Regierung und dem indigenen Volk der Mapuche verwickelt. Im Fadenkreuz steht die Operation Hurricane[46], bei der durch Durchsuchungen und Verhaftungen durch die chilenischen Carabineros versucht wird, die Mapuche-Gemeinschaft einzuschüchtern, indem falsche Beweise fabriziert werden, um einige Familien des Terrorismus zu beschuldigen[47]. Die Operation wurde unter Beteiligung der chilenischen Specialised Operative Intelligence Unit durchgeführt[48], die die Software Voyager Labs zur Erstellung von Profilen der Mapuche-Führer einsetzt[49].

Ein ähnlicher Fall ereignet sich in Spanien: Im Januar 2021 gibt das CTTI-Zentrum für Telekommunikation und Informationstechnologien der Generalitat de Catalunya 1,5 Millionen Euro aus, um zwei Plattformen, Voyager Analytics und Voyager Check, zu erwerben, die offiziell dazu dienen, den Kampf gegen den dschihadistischen Terrorismus zu verbessern[50]. Die Befürchtung, dass solche Instrumente zur missbräuchlichen Kontrolle gewöhnlicher Gemeinschaften eingesetzt werden könnten, ist jedoch groß[51]: Die Mossos d’Esquadra (die katalanische Polizei) sind in Sachen Computer-Hacking und Spionage nicht neu[52]. Die Liste der Verstöße ist lang: Das Zentrum für Informationssicherheit Kataloniens (CESICAT), das heute nicht mehr tätig ist, wird beschuldigt, Profile von sozialen Aktivisten und Journalisten erstellt und ihr Verhalten ausspioniert zu haben: Eine parlamentarische Untersuchung führt zum Rücktrittsgesuch des damaligen Innenministers Felip Puig[53].

Dulcis in fundo, kommt die italienische Strafermittlung: In einer Untersuchung der Staatsanwaltschaft Florenz im November 2019 sind die Hauptverdächtigen der Rechtsanwalt Alberto Bianchi und sein Freund Marco Carrai – die Anklage lautet auf Handel mit Einfluss und illegale Parteienfinanzierung. Im Mittelpunkt des Skandals steht die Open Foundation, die von Bianchi selbst ins Leben gerufen wurde, um die politischen Aktivitäten von Matteo Renzi, dem ehemaligen Premierminister, Vorsitzenden und Gründer der Partei Italia Viva, zu finanzieren. Gegen Ende des Jahres 2021 wird bekannt, dass Marco Carrai sich 2016 mit Avi Korenblum, dem Gründer von Voyager Labs, getroffen haben soll, um deren Software mit dem Ziel zu kaufen, „die Kampagne“ der Abstimmung über ein Verfassungsreferendum zu überwachen und zu beeinflussen, das im Falle seiner Annahme die Verfassung tiefgreifend verändert hätte[54]. Renzi verlor das Referendum, trat zurück, und seine politische Parabel begann schnell zu sinken.

Verstößt das LAPD gegen den ersten Verfassungszusatz?

_{Kriminelle Organisationen nutzen zunehmend soziale Netzwerke als Kommunikationsmittel. Voyager Labs bietet polizeiliche Analysetools, die kriminelle Handlungen zu vereiteln versprechen[55]}

Die Nutzung sozialer Medien zur Verbrechensbekämpfung nimmt zu: Laut einer Umfrage der International Police Association aus dem Jahr 2017 nutzen 70 % der Polizeidienststellen soziale Medien zur Überwachung ihrer Bürger[56]. Die Software von Voyager Labs wird auch von der Polizei von Los Angeles gekauft – einer Behörde, die bereits sehr umstrittene Tools wie Geofeedia[57], das die geografische Positionierung von Personen über soziale Medien verarbeitet, oder Media Sonar[58] und Dunami[59], zwei Softwareprogramme, die für die Erstellung von Personenprofilen anhand von im Netz gesammelten Daten nützlich sind, verwendet[60]. Die Informationen aus diesen Softwarepaketen werden weltweit von der Gotham-Plattform von Palantir verwaltet[61], einem der umstrittensten und leistungsfähigsten Instrumente der Polizeibehörden auf der ganzen Welt[62].

Der Verdacht, dass die Polizei diese Software skrupellos einsetzt, ist sehr groß. Im Januar 2020 forderte das Brennan Center for Justice das Los Angeles Police Department auf, über die Methoden zu berichten, mit denen Informationen über Einzelpersonen, Gruppen und Aktivitäten durch die Nutzung sozialer Medien wie Facebook, Twitter und Instagram gesammelt werden[63]. Die Antwort traf am 24. Februar ein[64], wurde aber als unvollständig und unbefriedigend angesehen[65]. Am 17. November 2020 reichte das Brennan Center beim California Superior Court eine Klage gegen die Polizeibehörde[66] ein und zwang sie zur Vorlage zusätzlicher Unterlagen: Zwischen März und September 2021[67] trafen 12 Akten mit insgesamt etwa 10.000 Seiten als Antwort ein[68].

Aus den Dokumenten – die das Brennan Center im November 2021 veröffentlichen wird – ergibt sich ein Bild, das an eine Verletzung des Ersten Verfassungszusatzes grenzt: Die Behörde bestätigt, dass sie massiv auf Ermittlungsinstrumente in sozialen Netzwerken zurückgreift, verdeckt mit gefälschten Profilen interveniert, persönliche Informationen aller Art sammelt und Vorhersagesoftware wie Voyager Analitics einsetzt[69]. Es ist vor allem ihre Funktionsweise, die viele Zweifel aufkommen lässt, sowohl bei den Erhebungsmethoden als auch bei den Antworten: Die Informationen werden erfasst, ohne Spuren zu hinterlassen, sie werden verwendet, um geschlossene soziale Profile oder geschlossene soziale Gruppen zu rekonstruieren (und damit die Regeln der Plattformen zu verletzen), um die Beziehungen zwischen den verschiedenen Profilen zu analysieren, um die Nutzer zu identifizieren, die „am stärksten in eine bestimmte Position involviert sind: emotional, ideologisch und persönlich“[70]. All dies ohne jegliche Prüfung der Verfahren und ohne persönliche Verantwortung für die Methoden der Datenerhebung, -nutzung und -speicherung[71].

In einem Dokument[72] von Voyager Labs, in dem eine Operation gegen den islamischen Terrorismus beschrieben wird, wird zugegeben, dass die Tools von Voyager Labs in der Lage sind, Personen automatisch zu überwachen und zu klassifizieren, je nachdem, wie hoch ihr Risiko ist, islamische Fundamentalisten zu werden. Die Ergebnisse werden auf der Grundlage von „künstlichen Intelligenzkalibrierungen“ farblich kodiert (grün, orange und rot), wobei die Informationen innerhalb von Minuten und ohne menschliches Zutun gewonnen werden – und ohne dass der verdächtige Bürger in der Lage ist, sich zu verteidigen[73].

_{7. Juli 2016: Tausende von Menschen gehen in New York und anderen amerikanischen Städten auf die Straße, um mit dem Ruf „Black Lives Matter“ gegen Geofeedia und den undemokratischen Einsatz von Überwachungssoftware durch die Polizei zu protestieren[74]}

Eine beängstigende Methode, wenn man glaubt, dass es für die Identifizierung als wahrscheinlicher islamischer Terrorist ausreicht, eine unbewusste Verbindung auf Facebook zu haben, die vielleicht vor Jahren hergestellt wurde und nun vergessen ist, mit jemandem, der einmal in seinem Leben „Allah ist groß“ getippt hat. So beängstigend, dass sich sogar ein Vertreter des LAPD besorgt über das Risiko der Unkontrollierbarkeit der Überwachungsmechanismen von Voyager äußerte[75], aber auch in Erinnerung an die gewalttätigen Proteste, die durch den Einsatz von Geofeedia durch die Strafverfolgungsbehörden im Jahr 2016 ausgelöst wurden[76].

Niemand kann wissen, wie viele Menschen auf der ganzen Welt als islamische Terroristen eingestuft worden sind. Diese Informationen befinden sich im Besitz von Voyager Labs und sind keiner Justizbehörde zugänglich: Es handelt sich um ein geheimes Gut mit immenser Zerstörungskraft, denn wenn es von den Geheimdiensten genutzt wird, kann es jeden nach Guantanamo bringen, ohne dass er für irgendetwas verantwortlich ist. Das ist der Hamlet’sche Zweifel am Grundprinzip des demokratischen Rechtsverständnisses: Bestraft werden soll derjenige, der nachweislich eines Verbrechens schuldig ist, und niemals derjenige, der im Verdacht steht, jemanden zu kennen, der es eines Tages begehen möchte.

Das Brennan Centre ist der Ansicht, dass diese Methoden leicht zu abweichenden Ergebnissen führen können. Bei Verhaftungen auf der Grundlage von Erkenntnissen der künstlichen Intelligenz besteht die Gefahr, dass unschuldige Aktivisten und farbige Gemeinschaften wahllos ins Visier genommen werden[77]. Am 7. Dezember 2021 nimmt das Brennan Center sein Amt wieder auf[78]: fragt das Office of Intelligence and Analysis des US Department of Homeland Security and Immigration and Customs Enforcement erneut um Informationen über die Verwendung der von Voyager Labs, ShadowDragon und Logically Inc. entwickelten Tools gebeten[79]. Die Anträge mit unterschiedlichen Begründungen stießen auf taube Ohren[80].

Facebook mag Voyager Labs nicht

_{Facebook fordert die LAPD auf, Praktiken auszusetzen, die gegen die Plattformregeln verstoßen[81]}

Anfang 2018 sah sich Zuckerberg mit dem Wirbelsturm konfrontiert, der seine Schöpfung Facebook heimsuchte: der Skandal um Cambridge Analytica[82]. Nachdem Facebook beschuldigt wurde, die Daten von mehr als 87 Millionen Nutzern nicht geschützt zu haben (Daten, die zur Verwendung für politische Propaganda gestohlen wurden), hat das Unternehmen eine große Sensibilität für den Schutz der persönlichen Daten seiner Nutzer entwickelt, nicht zuletzt, weil die Affäre das Unternehmen gut 643.000 Dollar an Gerichtszahlungen gekostet hat[83]. Eine der ersten Maßnahmen war die Schließung der Konten von Mitgliedern des Teams „Cybersecurity for Democracy“[84] im August 2021: Die Forscher sammelten Informationen aus dem Netzwerk, um über Covid19 zu forschen, indem sie eine Browsererweiterung verwendeten, um Erkennungssysteme zu umgehen und Daten wie Benutzernamen, Anzeigen und Links zu Nutzerprofilen zu sammeln, von denen einige nicht öffentlich sichtbar waren. Nach Ansicht von Facebook wurde durch diese Sammlung, wie auch durch Cambridge Analytica, die Privatsphäre der Nutzer verletzt[85].

Im November 2021 erklärte das Los Angeles Police Department, dass Facebook die Software von Voyager Labs nicht mochte, da sie zu leichtfertig eingesetzt wurde. Laut Facebook verletzt eine solche Software die Privatsphäre, aber der wichtigste Vorwurf richtet sich an Polizeibeamte, die gefälschte Konten verwenden, um verdeckt zu agieren, was einen eklatanten Verstoß gegen die Standards der Plattform darstellt – eine Tätigkeit, die von der kalifornischen und der russischen Polizei geteilt wird. Facebook (Meta) fordert die Beendigung dieser Aktivitäten[86]. Vergeblich. Es ist nicht das erste Mal, dass Facebook eingreift, indem es die Polizei anweist, Ermittlungsaktivitäten durch die Verwendung von Fake-Konten auszusetzen: Dies geschah bereits 2018 bei der Polizei von Memphis, aber in diesem Fall hatte Facebook es geschafft, die Konten sperren zu lassen[87].

Laut den vom Brennan Center veröffentlichten Dokumenten wurde Twitter auch für die wahllose Sammlung von Informationen mit Hilfe des von der polnischen EDGE NPD entwickelten Überwachungstools ABTShield genutzt[88]: ABTShield sammelte so viele Tweets, dass die Software selbst durchdrehte und die EDGE NPD gezwungen war, ihre Aktivitäten einzustellen. Während des gesamten Testzeitraums wurde eine riesige Menge an Daten gesammelt, insgesamt fast 2 Millionen Tweets, durchschnittlich etwa 70.000 pro Tag. Nach Angaben von EDGE NPD sammelte die Software während des Testzeitraums etwa 200 Millionen Tweets, von denen sie nur einen Bruchteil an das LAPD weiterleitete[89]. Der Rest verbleibt in den Datenbanken des Unternehmens, und wer weiß, wofür und für wen sie verwendet werden.

Der große Bluff

_{Deep Learning bei der Erkennung von gewalttätigem Verhalten anhand von Bildern[90]}

„Das ist übertriebenes Marketing für künstliche Intelligenz. Je mehr sie angeben, desto weniger glaube ich ihnen“, sagt Cathy O’Neil, Datenwissenschaftlerin und Prüferin von Algorithmen, dass die Versprechungen von Voyager Labs nichts Wissenschaftliches an sich haben: „Sie sagen uns: ‚Wir können erkennen, ob jemand kriminelle Absichten hat‘. Nein, das können Sie nicht. Nicht einmal bei Menschen, die Straftaten begehen, kann man vorhersagen, dass sie kriminelle Absichten haben“[91]. Ein Beispiel ist der Einsatz von Vorhersagetechniken in Santa Cruz, Kalifornien, im Jahr 2011: Nach neun Jahren beschloss der Stadtrat einstimmig, diese Methode zu verbieten, da sie die Ungleichheiten zwischen den Rassen noch verschärft[92]. Als ob das nötig wäre.

Die Vorstellung, dass es prädiktive Risikoindikatoren gibt, die erfolgreich eingesetzt werden können, ist durch jahrzehntelange akademische Forschung widerlegt worden[93]. Es gibt keine Beweise dafür, dass diese Software bei der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität Vorteile gebracht hat, sondern im Gegenteil, sie hat sich als diskriminierend, spaltend und zerstörerisch für Gemeinschaften erwiesen. Insbesondere im Bereich des islamischen Terrorismus, in dem Voyager Labs am intensivsten gearbeitet hat, basieren die Analysetechniken auf Konzepten, die sich als völlig abwegig erwiesen haben, wie etwa die Annahme, dass die islamische Radikalisierung ein Automatismus ist, der zum Terrorismus führt[94].

Im Jahr 2017 wurde Voyager Labs vom amerikanischen Marktführer Gartner[95] als „Cool Vendors in AI for Banking and Investment Services 2017“[96] ausgezeichnet. Im November desselben Jahres wurde es außerdem von der renommierten Unternehmensberatung Frost&Sullivan[97] mit dem European New Product Innovation Award 2017 ausgezeichnet[98]. Im September 2020 wird es vom OSMOSIS-Institut, das Ermittler, Forscher, Journalisten und Cyber Intelligence-Analysten in Open Source Intelligence-Techniken und -Praktiken ausbildet[99], als Open Source Technology Innovation of the Year 2020[100] ausgezeichnet. Im November 2020 wurde es bei den AI Breakthrough Awards 2020[101], die von der gleichnamigen führenden Organisation für Intelligenz vergeben werden, als „Best AI Industry Solution for Intelligence“ ausgezeichnet[102].

Die Auszeichnungen sind zwar vorhanden, aber es fehlt an echten Beweisen für die Wirksamkeit. Dennoch gibt es einige, die daran glauben und stark auf Vorhersagetechniken setzen: Im November 2021 kam Voyager Labs nach Japan und unterzeichnete in Synergie mit Terilogy Worx[103] einen wichtigen Vertrag mit einer japanischen Regierungsbehörde über die Bereitstellung ihrer Plattformen zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität[104]. Die Unterzeichnung erfolgt nur wenige Monate nach einer weiteren wichtigen Vereinbarung, diesmal zwischen Voyager Labs und Microsoft, die mehrere Plattformen umfasst, die das Programm „Microsoft One Commercial Partner“ für die gemeinsame Vermarktung von Software mit den weltweiten Vertriebsteams von Microsoft in 170 Ländern bilden[105].

Voyager Labs findet also weiterhin Kunden. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Methode reift und wirksam wird – und vor allem, dass sie möglichst wenig Kollateralschäden verursacht. Wenn die Militärtechnologie nicht helfen, sondern die menschliche Intelligenz ersetzen soll, tritt an die Stelle der Faszination Beunruhigung: Das Risiko, irreparable und unmenschliche Fehler zu machen, ist dramatisch real. Die Äußerung einer Meinung kann an sich nicht als Verbrechen oder Vorstufe zur Gewalt angesehen werden. In der Vergangenheit wurde der Kampf für Bürgerrechte oder das Frauenwahlrecht als terroristische Äußerung betrachtet. Das ist der Weg, Ideen zu unterdrücken, nicht Gewalt.

[1] https://www.statista.com/statistics/617136/digital-population-worldwide/

[2] https://www.internetlivestats.com/total-number-of-websites/

[3] https://www.northdata.com/Voyager+Labs+Ltd.,+London/Companies+House+07154170

[4] https://www.topionetworks.com/people/avi-kornblum-5833be77385326fe88000011

[5] https://www.cbetta.com/director/jonathan-leon-joffe

[6] https://suite.endole.co.uk/insight/people/17092653-mr-jonathan-leon-joffe

[7] https://find-and-update.company-information.service.gov.uk/officers/JGerG860MZIbPkKxIPxeewVDpM4/appointments

[8] https://find-and-update.company-information.service.gov.uk/company/07154170

[9] https://insidebigdata.com/2016/11/02/voyager-labs-emerges-from-stealth-mode-with-next-gen-cognitive-computing-deep-insights-platform/

[10] https://equityzen.com/company/voyageranalytics/

[11] https://sirronaldcohen.org/ ; https://insidebigdata.com/2016/11/02/voyager-labs-emerges-from-stealth-mode-with-next-gen-cognitive-computing-deep-insights-platform/

[12] https://www.forbes.com/profile/lloyd-dorfman/?sh=5d24653b227f ; https://insidebigdata.com/2016/11/02/voyager-labs-emerges-from-stealth-mode-with-next-gen-cognitive-computing-deep-insights-platform/