Bis Mitte 2025 steht Nigeria weiterhin im Zentrum einer schweren Hungerkrise. Laut dem Cadre Harmonisé-Bericht vom Juni werden über 30,6 Millionen Menschen in 26 Bundesstaaten und im Bundesdistrikt akut von Nahrungsunsicherheit betroffen sein. Zwar liegt diese Zahl leicht unter dem Niveau von 2024, doch Nigeria gehört nach wie vor zu den am stärksten betroffenen Ländern weltweit.
Besorgniserregend ist der Anstieg des Notstands an Hunger: Mehr als 1,2 Millionen Menschen leiden unter schwerer Nahrungsmittelknappheit – im Vergleich zu 680.000 im Vorjahr. Besonders betroffen sind die nördlichen und nordöstlichen Regionen wie Zamfara, Borno, Katsina, Sokoto und Yobe, wo anhaltende Gewalt, fragile Regierungsstrukturen und klimabedingte Missernten die Lage verschärfen.
Verflechtete Ursachen der Nahrungsmittelkrise
Bewaffnete Konflikte und erzwungene Vertreibungen bleiben zentrale Treiber der Krise. Die Boko-Haram-Insurgenz und andere Sicherheitsbedrohungen haben über zwei Millionen Menschen, meist im Nordosten, zur Flucht gezwungen. Dort treffen zerstörte Landwirtschaft, zusammengebrochene Märkte und kaum erreichbare humanitäre Hilfe aufeinander.
Hinzu kommt ökonomischer Druck. Die Inflationsrate in Nigeria ist instabil; bis Juli 2025 wird die Lebensmittelinflation nahe 40 % erwartet. Das beschränkt die Kaufkraft der Haushalte drastisch und verschärft den Zugang zu Nahrungsmitteln selbst in weniger vom Konflikt betroffenen Regionen.
Verschärfte Unterernährung bei Kindern und Müttern
Besondere Sorge bereitet die Situation von Kindern und Schwangeren. UN-Agenturen schätzen, dass 5,4 Millionen Kinder und 800.000 schwangere oder stillende Frauen von akuter Unterernährung bedroht sind. Davon benötigen nahezu 1,8 Millionen Kinder dringend medizinische Behandlung bei schwerer akuter Mangelernährung.
Ernährungszentren stehen vor operativer Lähmung durch fehlende Mittel. Einige mussten bereits ihren Betrieb in Konfliktgebieten einstellen, was die Mortalität unter hungernden Kindern weiter erhöht.
Die Rolle der US‑humanitären Unterstützung
Angesichts akuter Notlage bewilligte die US‑Regierung im Jahr 2025 ein Hilfspaket in Höhe von 32,5 Millionen USD zur Unterstützung von Nahrungs- und Ernährungsprogrammen in den am stärksten betroffenen Regionen Nigerias. Diese Maßnahme stellt eine politische Neuausrichtung nach Jahren rückläufiger internationaler Hilfe dar.
Die Finanzierung erfolgt über das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) und soll über 764.000 Menschen erreichen. Zielgruppen sind unter anderem 43.200 Kinder sowie rund 41.500 schwangere und stillende Frauen – unterstützt durch Lebensmittelgutscheine und Ernährungszusätze.
Schließen einer Finanzierungslücke
Da das WFP seine Vorräte in vielen Regionen erschöpft und Programme früher im Jahr ausgesetzt hatte, verhindert die US‑Hilfe umfassende Einstellung der Hilfsleistungen. Sie ermöglicht die Fortführung von Notverteilungen sowohl in Flüchtlingslagern als auch in konfliktanfälligen Gebieten, in denen lokale Versorgungssysteme zusammengebrochen sind.
Mitarbeitende des WFP in Maiduguri und Yola betonten, dass selbst minimale Hilfe dort „den Unterschied zwischen Leben und Tod“ mache, da wirtschaftliche Alternativen fehlen und sichere Lebensgrundlagen nicht vorhanden sind.
Grenzen der Hilfe und weiterbestehende Bedürfnisse
Obwohl lebensrettend, ist die Summe von 32,5 Millionen USD im Angesicht der Krise unzureichend. Expertinnen und Experten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) weisen darauf hin, dass eine einmalige Finanzspritze langfristige Verwundbarkeiten nicht beseitigen oder strukturelle Ursachen wie Landdegradation, mangelhafte Regierungsführung und schwache Sicherheitslage lösen kann.
Die Mittel sind nicht für nachhaltige Entwicklung oder klimaresiliente Agrarreformen vorgesehen, die notwendig sind, um lokale Ökonomien zu stabilisieren. Ohne strukturielle Intervention bleibt das Risiko künftiger Krisen bestehen.
Schrumpfende Entwicklungskapazitäten in Nigeria
Operative Herausforderungen beeinträchtigen zudem die Wirksamkeit der Hilfe. Sicherheitsbedenken gegenüber US‑Hilfe und anderen internationalen Organisationen schränken deren Zugang zu entlegenen Regionen ein. Ihre reduzierte Präsenz beeinträchtigt koordinierte Einsätze in Bereichen wie Gesundheit, Bildung und wirtschaftliche Erholung.
Inländische Institutionen sind zwar zunehmend involviert, verfügen aber nicht über ausreichende Ressourcen und Kapazitäten, um die Lücken eigenständig zu schließen. Fragmentierte Fördermittel und verzögerte Auszahlungen schwächen die Effizienz des Reaktionssystems zusätzlich.
Koordination nationaler und internationaler Reaktionen
Die Bewältigung der Hungerkatastrophe in Nigeria erfordert multilateralen Einsatz. Beteiligte Akteure umfassen die nigerianische Bundesregierung, Behörden auf Landesebene, UN-Agenturen (UNICEF, FAO, WFP), internationale NGOs und Geberstaaten.
Dennoch behindern sich überschneidende Zuständigkeiten und ungleichmäßige Finanzierung weiterhin die Koordination. Nationale Programme wie das Social Investment Programme und die Agricultural Transformation Agenda wirken begrenzt, da ihre Reichweite gering und ihre Umsetzung herausfordernd ist.
Landwirtschaftliche und ernährungsorientierte Resilienz stärken
Aktuelle Forderungen zielen auf durchhaltebasierte Modelle: landwirtschaftliche Stärkung, Diversifizierung von Lebensgrundlagen, Investitionen in Bewässerung sowie Ernährungsbildung. Diese sollen die Abhängigkeit von Nothilfe verringern und das Nahrungsmittelsicherheitssystem zukunftsfähig machen.
Die UN empfiehlt langfristige Investitionen in ländliche Infrastruktur und Klimaanpassung, um klimatische Auswirkungen wie Dürre, Überschwemmungen und Bodenerosion abzuschwächen – besonders in Nigerias nördlichem Agrargürtel.
Notfallhilfe versus nachhaltige Lösungen
Hilfsorganisationen stehen vor der Herausforderung, kurzfristige Lebensmittelhilfe zu leisten und gleichzeitig eine dauerhafte Abhängigkeit zu verhindern. Ohne ein Ende der gewaltsamen Konflikte, die bäuerliche Lebensgrundlagen zerstören und Handelsprozesse unterbrechen, sei weder landwirtschaftliche Produktion noch Markterholung realistisch.
Bisher fehlt eine klar ersichtliche Strategie der USA, um Notmaßnahmen mit Friedensförderung und wirtschaftlicher Stabilisierung zu verknüpfen. Eine Verknüpfung diplomatischer Hilfe mit langfristiger Entwicklungsförderung wäre erforderlich, wurde bislang jedoch nicht umgesetzt.
Dieser Zielkonflikt zwischen medizinischer Nothilfe und langfristiger Entwicklung unterstreicht den Wert hybrider Finanzierungsmodelle und koordinierter Landesstrategien für Ernährungssouveränität und inklusive Entwicklung.
Nationale Debatte und notwendige Investitionen
Die nationale Debatte über Ernährungssicherheit und Klimarisiken ist dringlicher denn je. Staatspräsident Bola Ahmed Tinubus Regierung hat Gespräche mit Stakeholdern aus Landwirtschaft, Handel und Sicherheitssektoren angestoßen, doch deren Umsetzung verläuft langsam.
Zunehmend fordern zivilgesellschaftliche Organisationen im Inland internationale Geber auf, lokale Eigentümerschaft und Kapazitätsaufbau im Ernährungssektor zu priorisieren. Ohne solche Strategien gefährde man nicht nur wirtschaftliche Stabilität, sondern auch nationale Widerstandsfähigkeit.
Der nigerianische Analyst Badaru Abubakar merkte kürzlich an, dass
„Obwohl 32,5 Millionen US‑Dollar wichtig sind, umfassende und nachhaltige Investitionen notwendig sind, um Millionen von Nigeria von Nothilfe zu echter Ernährungssouveränität zu führen.“
My fellow Nigerians,
— Bola Ahmed Tinubu (@officialABAT) August 4, 2024
Today, I address you with a sense of responsibility, as we navigate through these times. The protests, which turned violent in some parts of our nation, have caused unimaginable pain and loss, particularly to the families of those who have tragically lost… pic.twitter.com/mSR9zHc4Lb
Während 2025 fortschreitet und Spenderressourcen sich über globale Krisen verteilen, wird die Balance zwischen kurzfristiger Lebensrettung und langfristiger Transformation entscheiden, ob Nigerias Ernährungssicherheit sich stabilisiert oder in der gesamten westafrikanischen Region weiter erodiert.